Kirchliche Stellungnahme – Wasterkinger Hexenprozess
Reformierter Kirchenratspräsident von Zürich 2001 zum Wasterkinger Hexenprozess
Pfarrer Ruedi Reich
Kirchenratspräsident
Haus zum Rechberg
Hirschengraben 40
8001 Zürich
Tel. 01 258 92 51
Sonntag, 9. September 2001
Kirche Rafz
„Wasterkinger Hexenprozess 1701“ Votum des Kirchenratspräsidenten
Sehr geehrte Damen und Herren
Die blutige Verfolgung von Frauen und auch Männern unter der AnkIage der Hexerei gehört zum Dunkelsten, was sich in der Kirchengeschichte und damit überhaupt in der Geschichte Europas ereignet hat. Die christlichen Kirchen waren vom 14. bis ins beginnende 18. Jahrhundert an einer Unzahl von Hexenprozessen beteiligt. Dies hat Hunderttausenden von Frauen und auch Männern unendliches Leid gebracht. Staat und Kirche haben bei diesem Unrecht zusammengearbeitet. Es ist traurig, dass auch die Reformation nicht mit den Hexenverfolgungen gebrochen hat. Hier gibt es eine historische Schuld auch unserer reformierten Zürcher Kirche.
Beim Reformator Huldrych Zwingli zeigen sich zwar kaum Ansätze von Teufels- und Hexenglauben. Dem Reformator war die Reform von Kirche und Gesellschaft auf Grund des Evangeliums und im Rahmen humanistischer Ideale ein Anliegen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beschäftigen sich aber auch reformierte Zürcher Theologen mit Teufels- und Hexenglauben. Vom 14. bis ins 17. Jahrhundert wurden in etwa zweihundert Prozessen gegen hundert Frauen und Männer zum Tode verurteilt. Im Vergleich zu anderen reformierten oder katholischen Gebieten der Schweiz oder Deutschlands stehe Zürich noch einigermaßen gut da, sagen Historiker. Es ist zwar gut, dies zu wissen. Aber dies darf nicht zur Entschuldigung der Zürcher Justizmorde dienen. Es zeigt lediglich, wie grässlich die Verfolgung in ganz Europa war.
In Zürich sind ab 1660 keine Prozesse mehr nachgewiesen. Nach vierzigjährigem Unterbruch aber werden 1701 auf Grund der Wasterkinger Ereignisse und als Folge eigentlicher Inquisitionsprozesse sieben Frauen und ein Mann Opfer der Verblendung und Grausamkeit geistlicher und weltlicher Verantwortungsträger.
Manches mag man erklären können auf dem Hintergrund von Armut, Neid und Aberglauben, aber auch von politischer Unfreiheit. Besonders tragisch wirkte sich aus, dass Antonius Klingler, Antistes der Zürcher Kirche – also der damalige Kirchenratspräsident – sich in krankhafter Weise vom Bösen verfolgt sah. Er ist darum den neu aufkommenden Hexenprozessen nicht entgegengetreten.
Durch Folter wurden 1701 Geständnisse erpresst. Pfarrer bemühten sich um das Seelenheil der Verurteilten, welches angeblich durch die Hinrichtung erlangt werden sollte. Die Vernehmungsprotokolle sind nicht nur Zeugnis unendlichen Leides, sondern auch geistlicher Verwirrung. So wurde Anna Vogel grässlich gefoltert. Das Protokoll hält fest: „Als sie nun also über die nun 1 1/2 Stund in dem Schmerze gelassen worden, stund man in dem guten Vertrauen, es möchte der gnädige Gott dies harte Herz erweichet und die so schmerzliche Marter ihre Frücht erwürkt haben“ (David Meili, S.52). Bei solchen und anderen Aufzeichnungen erschrecken wir zutiefst: Im Namen des gnädigen Gottes wird gefoltert! Dies lässt sich mit nichts entschuldigen.
Auch in unserer Kirche sind damals Verantwortungsträger und auch sogenannte einfache Leute“ einem unseligen Mechanismus erlegen: Das Böse und Unerklärliche in der Welt wurde auf wehrlose Menschen projiziert und in ihnen bekämpft und verfolgt. Sie haben sich damit vergleichbar grausam verhalten, wie die Ideologien des 20. Jahrhunderts, die den ,,Klassenfeind“ oder den ,,Volksfeind“ ausmerzen wollten. Und im übrigen ist es ja auch noch nicht allzu lange her, dass man vorgab sehr genau zu wissen, was ,,unschweizerisch“ sei und wie man dem begegnen müsse.
Die Schuld von Obrigkeit und Kirche damals – 1701 – erkennen, heißt darum auch zur Schuld von Staat und Gesellschaft in der Moderne zu stehen. Und wer auf die damaligen Verantwortlichen mit Fingern zeigen will, bedenke: Vor anderthalb Jahren haben wir uns von einem Jahrhundert verabschiedet, in welchem durch Nationalismus und andere unmenschliche Ideologien, durch Rassismus und Antisemitismus in zwei Weltkriegen weit über hundert Millionen Menschen getötet, erniedrigt und vergewaltigt wurden. Gegen Unmenschlichkeit gilt es immer neu Stellung zu beziehen. Johann Rudolf Ulrich, Antistes der Zürcher Kirche, hat dies bereits einige Jahrzehnte nach den Wasterkinger Ereignissen getan. Mit eindringlichen Worten und einer offiziellen Intervention versuchte er 1782 Anna Göldin zu retten. Sie wurde dennoch als letzte Hexe in der Schweiz in Glarus hingerichtet.
Das heute Abend vom Theater für den Kanton Zürich aufgeführte Stück verbindet Vergangenheit und Gegenwart, damalige und heutige Schuld, abgründig Böses damals und heute, Trauriges und Lächerliches damals wie heute. Dem Autor, dem Regisseur und der ganzen Theatercrew ist für ihr Engagement zu danken. Sie zeigen uns, wie das Damals in Wasterkingen und Zürich durchaus auch mit dem Heute in der Schweiz und anderswo zu tun haben kann.
Wir können das Stück, das mehr als nur historische Rekonstruktion ist, nicht sehen, ohne festzuhalten: Die Ereignisse von 1701 sind ein Unrecht, welchem sich auch die reformierte Zürcher Kirche zu stellen hat. Hier haben sich Menschen am Evangelium versündigt, weil sie sich an wehrlosen Menschen versündigt haben. Wir haben uns deshalb vom Evangelium her auch heute gegen alle Ausgrenzung und Diskriminierung zu wenden und für Menschenrecht und Menschenwürde einzutreten. Allerdings: Das Unrecht, das Leid und das Leiden, welches Frauen und auch Männern damals zugefügt wurde, kann nicht wieder gut gemacht werden. Leider.