Aufbegehren
Ideologie und Gesetz
Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts eskalierte in Europa die Zahl der Menschen, die als „Hexen“ gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet wurden. Auf Grund neuerer Forschungen waren es aus heutiger Sicht etwa 50 000 bis 80 000 Personen, hauptsächlich Frauen, daneben aber auch Männer und Kinder. Die Anklage, die man gegen sie erhob, war in erster Linie, dass sie sich mit dem Teufel eingelassen und von der christlichen Kirche losgesagt hätten. Darüber hinaus hätten sie ihren Mitmenschen allen möglichen Schaden zugefügt wie z. B. durch schlechtes Wetter die Früchte auf den Feldern verdorben, Unglücksfälle bei Menschen und Tieren verursacht, Krankheiten und Tod bei ihren Nachbarn herbeigeführt, den Männern ihre „männliche Stärke“ weggezaubert und vieles mehr.
Meistens erfolgte eine Anklage auf Grund einer Denunziation infolge eines ganz alltäglichen nachbarlichen oder verwandtschaftlichen Konfliktes. Die Durchführung des Prozesses folgte im Allgemeinen den Regeln der vorgegebenen obrigkeitlichen Gesetze und Vorschriften. Dementsprechend auch die Urteilsfindung, d. h. die Todesstrafe. Aus heutiger Sicht jedoch beruhte ein derartiges Urteil allerdings nicht auf einem konkreten strafwürdigen Verbrechen, sondern letzten Endes auf fiktiver ideologischer – wenn man will, theologischer – Grundlage! Das bedeutet, dass auf solche Weise Tausende von Menschen unschuldig zu Tode gebracht wurden – nach dem Buchstaben des Gesetzes!
Es gibt Gegenden, in denen in wenigen Jahren Hunderte von Menschen unter der Anklage der Hexerei verbrannt wurden. Was den fränkischen Raum betrifft, spielten in dieser Hinsicht besonders die Erzbistümer Bamberg, Würzburg und Eichstätt eine sehr unrühmliche Rolle. Aber auch in evangelisch-lutherischen Gebieten, wie dem Markgraftum Brandenburg-Ansbach-Kulmbach bzw. Bayreuth, fanden – wie neuere Forschungen belegen – zahlreiche Hexenprozesse statt. In den Zeiten intensiver Verfolgung war die Bedrohung, als „Hexe“ bzw. als „Zauberer“ in die Hände einer grausamen Justiz zu fallen, für jede Frau, für jeden Mann allgegenwärtig. Meistens gab es kein Entrinnen.
Aufbegehren
Nur wenige stellten – unter Hinnahme von persönlicher Gefährdung oder Diskriminierung – die Hexenlehre bzw. die Durchführung der Hexenprozesse in Frage. Dazu gehörten der reformierte Pfarrer Anton Praetorius im Westfälischen, der lutherische Theologe und Gelehrte Mathias Meyfart in Coburg und der katholische Jesuitenpater Friedrich Spee. Der Bevölkerung jedoch bot die Hexenlehre eine durchaus plausible Erklärung für manches unerklärliche Geschehen oder für allerlei Übel in ihrem Leben. Auf diese Weise waren die Menschen, ob als aktive Verfolgungstäter oder als passive, Qualen und Tod erleidende Opfer, an den Hexenverfolgungen beteiligt und zogen sie nicht in Zweifel. Dennoch gibt es überraschenderweise in archivalischen Quellen bzw. Prozessakten, wenn auch nur äußerst spärlich, Hinweise darauf, dass z. B. Angehörige von gefangenen Frauen bzw. Betroffene selbst durch Bittschriften an die Obrigkeit oder Briefe auf ihre Unschuld pochten, um Freilassung baten oder gar rehabilitiert werden wollten. Das macht deutlich, dass es hie und da in diesem perfektionierten Verfolgungssystem durchaus Möglichkeiten gab, sich mit juristischen Mitteln zu wehren und zaghaft aufzubegehren. Einige Bespiele aus dem fränkischen Bereich mögen dies veranschaulichen.
Wikipediaartikel zu Friedrich Spee
Wikipediaartikel zu Mathias Mayfart
Denkmäler für Friedrich Spee (Fotos Hegeler)
Barbara Hedlerin (Geburts- und Todesdatum unbekannt) aus Weißenbronn bei Ansbach war 1592 verdächtigt worden, eine Hostie während des Abendmahls wieder aus dem Mund genommen und in ihren Schleier gewickelt zu haben, um sie anschließend zusammen mit ihrem Teufelsbuhlen zu missbrauchen. Trotz strenger Bedrohung durch den Henker gestand sie anscheinend nichts. In einer Bittschrift an den Markgrafen Georg Friedrich beklagte sich ihr Mann, der Bäcker Sebastian Hedler, dass seine Ehefrau fälschlich beschuldigt worden sei. Er verlangte, dass sie wegen der „Ehrabschneidung und höchsten Lebensgefahr“ rehabilitiert werden solle. Außerdem sollten ihm die vielfältigen Gerichtskosten wieder erstattet werden. Das sollte schriftlich und urkundlich festgemacht werden. Denn abgesehen von der Schande, dem Spott und der Schmach, die der Prozess über sein unschuldiges Weib gebracht habe, fühlten auch er und die Seinen sich an „Brot, Ehre und Recht beeinträchtigt.“ Ob Barbara Hedlerin wirklich rehabilitiert wurde, ist aus den Archivalien nicht zu ersehen.
Literatur:
Traudl Kleefeld, Hexenverfolgung im Markgraftum Ansbach im 16. Jahrhundert, insbesondere während der Regierungszeit des Markgrafen Georg Friedrich (1556-1603), in: Traudl Kleefeld, Hans Gräser, Gernot Stepper: Hexenverfolgung im Markgraftum Brandenburg-Ansbach und in der Herrschaft Sugenheim. Mit Quellen aus der Amtsstadt Crailsheim. Mittelfränkische Studien. Im Auftrag des Historischen Vereins für Mittelfranken herausgegeben von Gerhard Rechter im Zusammenarbeit mit Robert Schuh und Werner Bürger. Band 15. Ansbach 2001. Selbstverlag des Historischen Vereins in Mittelfranken. ISBN 3-87707-573-8, S. 79
Anna Dürrin (Geburts- und Todesdatum unbekannt, aus Crailsheim) wurde 1594 zur Zeit der Hexenverfolgungen in einem Hexenprozess angeklagt.
Anna Dürrin war im Zusammenhang mit anderen Hexenprozessen in Crailsheim im November 1594 verhaftet und mehrmals gütlich und peinlich verhört worden. Trotz der Folter legte sie kein Geständnis ab. Dennoch wurde sie weiterhin gefangen gehalten. In dieser Situation wandte sich ihr Mann, Peter Dürr, von Beruf Karrenmann, im Januar 1595 mit einer Bittschrift an die Obrigkeit in Ansbach. Er schildert, dass er in den sechsundzwanzig Jahren ihres gemeinsamen Lebens nichts Verdächtiges an ihr bemerkt habe. „Nun sei sie ein altes verlebtes Weib und schon über 60 Jahre alt, lahm und verkrümmt. Seit sie in der Gefangenschaft sei, seien ihm viele Unkosten angefallen. Je länger sie im Gefängnis bleiben müsse, um so mehr gerate er in immer größere Bedrängnis und äußerstes Verderben. Zudem müsse er für sie sorgen, da sie ihren Haushalt nicht mehr führen könne, wenn sie wieder frei käme. Denn auf Grund der peinlichen Befragung sei sie körperlich dazu nicht mehr in der Lage. Deshalb bitte er untertänigst, seine liebe Hausfrau wieder aus dem Gefängnis freizulassen.“
Diese Bittschrift ist ein beredtes Zeugnis dafür, wie durch einen Hexenprozess auch Angehörige der Betroffenen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Sie bewirkte zumindest, dass der Markgraf einen genauen Bericht über den Fall Anna Dürrin einforderte. Wahrscheinlich wurde sie daraufhin auch freigelassen.
Literatur
Traudl Kleefeld, Hexenverfolgung im Markgraftum Ansbach im 16. Jahrhundert, S. 77
Margarete Bucklin (Geburts- und Todesdatum unbekannt, aus Petersaurach) im Markgraftum Brandenburg-Ansbach wurde 1594 zur Zeit der Hexenverfolgungen in einem Hexenprozess angeklagt.
Margarete Bucklin war 1594 einen Monat lang wegen Hexereiverdachts gefangen gehalten worden. Sie kam frei, da sie trotz heftiger Folter kein Geständnis abgelegt hatte. Außerordentlich in diesem Fall ist, dass hier eine Frau ohne männlichen Beistand selbst aufbegehrte und um ihre Ehre und ihren guten Ruf kämpfte: sie schrieb nämlich – oder ließ vermutlich schreiben – eine Bittschrift an den Markgrafen in Ansbach. Das zeugt in einer so gefährlichen Situation von großem Mut und Selbstbewusstsein und einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Sehr ausführlich schilderte sie in ihrer Bittschrift aus ihrer Sicht die Ereignisse. Dabei gab sie zu, im Zorn manches gesagt oder getan zu haben, was man ihr hätte vorwerfen oder falsch auslegen können. Dennoch hielt sie das Vorgehen des Mannes, der sie denunziert hatte, für völlig ungerechtfertigt. Auch durch die Festnahme, das Verhör und die peinliche Befragung fühlte sie sich ungerecht behandelt. So bat sie den Markgrafen, „er wolle sich ihrer aus Gnaden erbarmen … und Befehl ergehen lassen, dass jener ihr alle angefallenen Unkosten zurückerstatte und bezahle, sowie auch seine Verdächtigungen ihr gegenüber in aller Öffentlichkeit zurücknehme und erkläre, dass er über sie nichts anderes als Ehrbares, Liebes und Gutes wisse.“
Auf Grund dieser Bittschrift wurde der Denunziant tatsächlich noch einmal vor Gericht befragt. Jedoch fühlte er sich nach wie vor im Recht und wies die Vorwürfe der Margarete Bucklin zurück. Auch er schrieb einen ausführlichen Bericht über das Geschehene und meinte, dass sie keinen Grund habe, sich zu beschweren. Zwischen den Zeilen seines Schreibens ließ er erkennen, was er eigentlich über sie dachte, nämlich dass sie offensichtlich nicht ganz zurechnungsfähig sei!
Ob Margarete Bucklin letztendlich rehabilitiert wurde, geht aus den Akten nicht hervor. Ihr Prozess endete zwar nicht mit ihrer Hinrichtung, jedoch aber mit der Zerstörung der Grundlagen ihrer Existenz.
Traudl Kleefeld, Hexenverfolgung im Markgraftum Ansbach im 16. Jahrhundert, S. 79
Solche Beispiele sind, wenn auch nur vereinzelt, Spuren von Hoffnung und Zeichen gegen Resignation in einem Zeitalter, das neben vielem Positiven, das es auch hervorbrachte, von einem Geist der Zerstörung, der Angst und des Todes geprägt war.
Literatur:
Traudl Kleefeld, Hans Gräser, Gernot Stepper: Hexenverfolgung im Markgraftum Brandenburg-Ansbach und in der Herrschaft Sugenheim.
Autorin dieses Artikels:
Die engagierte evangelische Christin Traudl Kleefeld ist Kirchenvorsteherin in St. Markus in Erlangen und gelernte Neuphilologin. Sie beschäftigt sich seit 1987 mit dem Thema Hexenverfolgung.
Ihre letzte bekannte Adresse lautet: Traudl Kleefeld, Hartmannstr. 129a, 91058 Erlangen